Am 8. Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 80. Mal.
Für viele Länder Westeuropas bedeutete das Vorrücken der Alliierten das Ende des nationalsozialistischen Terrors und den Beginn einer freiheitlich-demokratischen Entwicklung. Auch Deutschland verdankt diesem Tag die Befreiung vom Nationalsozialismus. Diese historische Tatsache erkennen wir mit Demut und Dankbarkeit an.
Doch aus der Perspektive der ukrainischen und litauischen Gemeinschaften in Deutschland, die beide tief von den Folgen der sowjetischen Nachkriegsdiktatur betroffen waren, markiert der 8. Mai nicht das Ende der Unterdrückung, sondern den Beginn oder die Fortsetzung einer neuen totalitären Herrschaft: der jahrzehntelangen Besatzung durch die Sowjetunion.
Für viele Nationen Mittel- und Osteuropas – darunter die Ukraine, Litauen, Lettland, Estland, Polen, Georgien und andere – bedeutete das Kriegsende Repression, Deportation, kulturelle Auslöschung und politische Gewalt unter anderem Vorzeichen.
Heute – 80 Jahre später – steht Europa erneut vor einer historischen Bewährungsprobe. Die Russische Föderation, die sich explizit als Nachfolgerin der Sowjetunion versteht, führt einen imperialistischen Angriffskrieg gegen die souveräne Ukraine. Dieser Krieg ist nicht nur ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, sondern geht einher mit systematischen Kriegsverbrechen, Massakern an der Zivilbevölkerung, Deportationen von Kindern, gezielten Angriffen auf zivile Infrastruktur und einer menschenverachtenden Besatzungspolitik.
Russland nutzt dabei nicht nur militärische Gewalt, sondern auch die historische Erinnerung als Waffe. Unter dem Banner des „Tag des Sieges” organisiert es weltweit Veranstaltungen wie den „Unsterblichen Regiment”-Marsch, um seine eigene aggressive Geschichtspolitik zu rechtfertigen und Kritik daran zu entwerten. Die Parole „Wir können es wiederholen” („Мы можем повторить”) wird nicht zufällig von jenen gerufen, die Kriegsverbrechen in Butscha, Irpin oder Mariupol begangen haben und weiterhin begehen.
Gerade angesichts dieser Realität ist es unerlässlich, dass Europa als Wertegemeinschaft geeint gegen Geschichtsverzerrung, Gewalt und neoimperiale Ambitionen auftritt. Erinnerung darf nicht zur Waffe werden. Gedenktage wie der 8. Mai – und auch der in Russland gefeierte 9. Mai – müssen kritisch im Licht historischer Wahrheit und aktueller Verantwortung betrachtet werden.
Wir, die Vertreter der ukrainischen und litauischen Gemeinschaften in Deutschland, fordern eine klare, differenzierte und verantwortungsvolle Haltung der deutschen Politik und Gesellschaft gegenüber dem Ende des Zweiten Weltkrieges:
➡️ Anerkennen Sie die komplexe historische Realität: Der 8. Mai kann nicht als universeller Tag der Befreiung verstanden werden – für viele Nationen war er der Beginn oder die Fortsetzung der sowjetischen Tyrannei.
➡️ Vermeiden Sie symbolische Gesten, die das heutige Russland als „Befreier“ Europas im Zweiten Weltkrieg darstellen. Ein unkritisches Gedenken, das die russische Sichtweise übernimmt, läuft Gefahr, dem heutigen Aggressor nachträglich Legitimität zu verschaffen.
➡️ Stehen Sie solidarisch zur Ukraine und allen Völkern, die sich gegen Imperialismus, Gewalt und Geschichtsverfälschung zur Wehr setzen.
Europa hat eine historische Verantwortung, sich der Vergangenheit mit ehrlichem Blick zu stellen – nicht um alte Wunden zu öffnen, sondern um zu verhindern, dass sie erneut geschlagen werden.
Mit Respekt und in der Hoffnung auf eine gemeinsame europäische Zukunft in Freiheit und Wahrheit.
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Litauische Gemeinschaft in Deutschland e. V.
Asta Korinth
Präsidiumsvorsitzende des Zentralrates

Dachverband der Ukrainischen Organisationen in Deutschland e.V.
Rostyslav Sukennyk
Vorstandsvorsitzender